11. Die Verabschiedung von Pfarrer Vitus und die Entlassung des Kaplans Abraham Raid
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Der entlassene Pfarrer Vitus, für den die Gemeinde in so rührender Weise am 4. Januar die Gnade des Landgrafen angerufen hatte, schickte sich an, um am 21. März Hersfeld zu verlassen. Er gab dabei dem Rat zu verstehen, „Das er bey Wahrung seins Dinsts nich ts für sich bracht, Und es ohn des Im Ambt Rottenberg (Rotenburg) breuchlich, Wan ein Pfarher verstirbt, Das seiner Wittiben Jehrlich ein genantes (eine gewisse Summe Geldes) Zu ihrem Underhalt gegeben wirdt, Und es Nuhn Ahn deme (sei,) Das er seinen fus f ortsetzen, Und Zur erhalttung Weib und Kinder, nach Andern Dinsten sehenn muste. Darauff ihm zum Abzug ein merkliches Uffgehen Würde, So wolte er Dinstlich gebetten haben, Das man Ihnen, Wegen seiner getrewen geleistetenn Dinsten, mit einer Zulage, Zu sein em Abzug günstig bedencken wolte, ......."(1) Hierauf verordnete der Rat, „Ob sie zwar liebers nichts hetten sehen möchten, Dann das er bey Ihnenn und der gemeinen Bürgerschaftt lenger In seinem Ambt geblieben were," (2) ihm die nicht geringe Summe von fünfzig Gulden zu geben.
Der Abzug des Pfarrers Vitus von Hersfeld wurde zu einer großen Demonstration. Der Pfarrer Clebius schreibt darüber an Dekan Stein in Rotenburg: „Da war ein groß Valedicirens (Lebewohlsagen), Weinens und Heulens Bei Alten und Jungen, Großen und Kleinen." (3) Das ganze Volk jammerte um den teuren Seelenhirten, der ihm entrissen worden war. Dem neuen Pfarrer Clebius wurde übel mitgespielt. Er berichtete weiter an Dekan Stein. Er habe am 19. März in der Morgenpredigt dem versammelten Volke die Verkehrtheit des lutherischen Glaubens zu beweisen versucht. Kaum aber habe man den Anfang der Erörterung gehört, als sofort alles Volk von den Plätzen aufgesprungen und zur Kirche hinausgeeilt sei. Am Nachmittag, als er wieder gepredigt habe, seien außer sehr wenigen Bürgern nur der Schultheiß und der Stadtschreiber zur Kirche gekommen. Letzterer habe, vielleicht in böser Absicht, seine Predigt in der Kirche niedergeschrieben. Die Stadtschule und der Konfirmandenunterricht sei fast von allen Kindern verlassen, da die Eltern ihre Kinder zu anderen Lehrern schickten, wo sie den Katechismus Luthers lernen müßten. Die hauptsächlichste Störung der Reform gehe aber von dem Kaplan aus, der ihn neulich durch einen auf die Kanzel geschickten Zettel aufgefordert habe, die Gemeinde zu ersuchen, sie möchte doch für ihn, der ein sehr armer, kranker und tiefbekümmerter Mann sei, die Gnade Gottes anflehen und ihm allen Ärger, den er durch den Abfall von der lutherischen Lehre gegeben habe, mit christlicher Liebe verzeihen. Außerdem habe ihm derselbe am 20. März gemeldet, daß er bei seinen mit jedem Tag zunehmenden Körperleiden zur Administrierung des Kelches bei dem Abendmahl nicht fähig sei. Er werde sich aber auch in keiner Weise zur Darreichung des Kelches verstehen, wenn sich sein Bef inden wider alles Erwarten bessern sollte. Er wolle lieber die Menschen erzürnen, als sein Gewissen beschweren. Wenn die auf das bevorstehende Fest Mariae Verkündigung angesetzte Kommunion, bei welcher Clebius den neuen Ritus zum ersten Male anzuwenden gedachte, nicht den nachteiligsten Eindruck auf die Bürgerschaft machen sollte, so war die herkömmliche Anwesenheit zweier Geistlicher erforderlich. Auf die dringendste Bitte des Pfarrers entschloß sich daher Dekan Stein, die Administrierung des Kelches selbst zu übernehmen. Als der erwartete Festtagherangekommen war, umstand das Volk massenhaft den Chor, um zu sehen, wer an der Kommunion teilnehmen und was bei derselben vorgehen werde. Nur vierzehn Kommunikanten traten an den Altar heran, der Schultheiß, zwei Stadträte, fünf Ratsverwandte, der neue Rektor der Stadtschule Rulmann, der Lehrer Tobias Wille, ein Hospitalit und der Pfarrer mit seinen beiden Söhnen. Von den sieben Kirchenältsten war niemand erschienen. Den erwarteten Eindruck auf die Bürgerschaft hatte die Kommunionfeier in keiner Weise gemacht. Als daher Clebius am Ostersonntag wieder das Abendmahl halten wollte, fand sich niemand, der die Kommunion begehrte: Der Tisch des Herrn war umsonst gedeckt worden. Der schwer verbissene Ärger der Gemeinde erhielt vielmehr jetzt neue Nahrung, da Clebius den Altar mit einer schwarzen Decke behangen und eine Schwelle zum Auftritt hinter demselben angebracht hatte. Am Ostermontag mußte er deshalb die bittersten Vorwürfe der Kirchenältesten hören. Die Verwirrung, welche durch die aufgedrungene Kirchenraform in alle Verhältnisse der Stadt gekommen war, wuchs mit jedem Tage mehr. Der Lehrer Johannes Engelbrecht, der sich früher für die Verbesserungspunkte erklärt hatte, nahm seine Erklärung reumütig zurück. Am 9. April wurde er vom Superintendenten Reinman aus dem Schuldienst entlassen, „weil er sich bey der communion einzustellen bedenckens getragen." (4) Der Kaplan Abraham Raid, der Trost aller bekümmerten Herzen in Hersfeld, hatte sich nun von allen dienstlichen Funktionen losgesagt und wurde ebenfalls entlassen. An seine Stelle trat Eckhardus Arcularius. Doch die innere Abneigung der Gemeinde gegen den Pfarrer in der Klage über seine Unverständlichkeit und seinen mangelhaften Vortrag machte sich immer wieder und immer bedenklicher Luft. (1) Louis Demme: Chronik von Hersfeld, Erster Band, S.369 (Beilage 115) (2) Louis Demme: Chronik von Hersfeld, Erster Band, S.369 (Beilage 115) (3) Wilhelm Neuhaus: Geschichte Hersfelds, S. 157 (4) Stadtratsgedenkbuch, sogen. „Rotes Buch", Sa 1a, folio 123b |
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