8. Das Volksverhör

Inzwischen wurde das Examen der Beamten, des Magistrates und der Bürgerschaft, welches von einigen Mitgliedern der Kommission schon am 29.Dezember begonnen worden war, ununterbrochen fortgeführt. Die Zahl der Verhörten betrug 553, von denen sich jeder einzelne zu folgenden fünf Fragen erklären mußte: „1. Nachdem die Bilder abgeschafft und sie darinnen parirt, ob dann nicht auch sie sich schuldig erkennen, darinnen Gehorsam zu leisten, daß die zehn Gebote ganz und wie sie in Gottes Wort befindlich seien, gelehrt und gelernt werden. 2. Ob sie ihre Kinder fleißig zur Kinderlehre und Schule schicken, und sie die zehn Gebote ganz lernen laßen wollten, wie auch das Hausgesinde. 3. Nachdem neuerlicher Zeit eine ungewöhnliche sehr große Communion allhier gehalten , was die Ursache sei, und wer sie dazu angereizt habe. 4. Ob sie auch an der Ceremonie des Brotbrechens Ärgernis haben, 5. Ob sie sich selbst bequemen und zur Communion, wenn künftig, jedoch auf vorgegangenen Unterricht der Prediger, die fraction eingeführt wird, einstellen wollten." (1) Auf die dritte Frage antwortete der Magistrat, der Pfarrer habe am Freitag vor der fraglichen Kommunion bekannt gemacht, daß man vor dem Weihnachtsfest noch einmal das Abendmal halten wolle; wer sich dazu finden wolle, solle sich sonnabends anmelden. Durch diese Kommunionsfeier habe der Pfarrer wahrscheinlich nur den allzu großen Zudrang zu der bevorstehenden Weihnachtskommunion verhüten wollen. Von einer besonderen „Anreizung" zur Teilnahme an dem Abendmahl wisse man nichts. Die Bürger erklärten fast einstimmig, daß sie niemandem in das Herz schauen könnten, welche Absicht der Pfarrer mit der fraglichen Kommunion gehabt habe. Auf die übrigen Fragen antworteten so ziemlich alle Bürger nach den Wünschen des Landgrafen.
Am 4.Januar 1609 wurde dann Pfarrer Georg Vitus von der Kommission für abgesetzt erklärt. Vergeblich bat eine sehr zahlreiche Deputation der Bürgerschaft, ihr den hochgeschätzten Prediger zu lassen. In ihrer Bittschrift an die Kommission baten sie flehentlich, man möge doch nicht der Gemeinde das härteste Leid antun und ihr den geliebten Seelsorger entreißen.Aber die Kommission erwiderte, der Pfarrer sei an seiner gegen ihn beschlossenen Amtsentsetzung wegen seines Starrsinns selbst schuld. Er habe alle Ermahnungen und Bitten des Landgrafen mit trotzigem Ungehorsam zurückgewiesen. Weinend ging die Abordnung fort. Die Veröffentlichung der durch ein Schreiben vom 4. Januar bestätigten Dienstentlassung des Pfarrers erfolgte am 7. Januar. Dabei mußte sich Vitus noch schriftlich dahin verpflichten, daß er gegen die Person des Landgrafen und gegen die von demselben eingeführte Kirchenreform nie etwas unternehmen wolle. An seiner Stelle wurde am Sonntag nach dem Neujahrstag M. Heinrich Clebius als Pfarrer in der Stadtkirche von dem Superintendenten Reinmann eingeführt und konfirmiert, nachdem man von Marburg die landgräfliche Bestätigung eingeholt hatte. Dem Kaplan Abraham Raid wurde für den Fall, daß er wegen seines Alters über kurz oder lang sein Amt aufgeben müsse, die Verleihung eines Rotenburger Kanonikates zugesichert. Außerdem wurde auch die Amtsentsetzung des Rektors der Stadtschule ausgesprochen und der Stadtrat aufgefordert, zur Wiederbesetzung des Rektorats ungesäumt Vorschläge zu machen. Dieses Amt übernahm schließlich Rulmann. Doch der Stadtrat mußte noch einen scharfen Verweis darüber einstecken, daß durch sein Verschulden bisher ein derartig untaugliches Subjekt an der Spitze des Lehrerkollegiums gestanden habe. Auch die Entlassung des Lehrers Johann Schaffert wurde am 7. Januar ausgesprochen, da er sich bei dem Verhör mit den Verbesserungspunkten nicht einverstanden erklärte. Schaffert muß sich sogar recht abfällig über die Verbesserungspunkte geäußert und sich recht unbescheiden verhalten haben, wie aus der entsprechenden Akte hervorgeht.(2) Die Kommission berichtete diese Ungebührlichkeit dem Landgrafen, der dann sehr verärgert seine Amtsentsetzung aussprach. Schaffert hatte ohnehin erklärt, daß er lieber seinen Dienst verlieren, als die Verbesserungspunkte annehmen wolle. An seine Stelle trat am 18. Januar auf vorherige Bewilligung des Rates und des neuen Pfarrers Clebius der Magister Tobias Wille.
(1) Heppe, Heinrich: Die Einführung der Verbesserungspunkte in Hessenvon 1604 - 1610 und die ......S.163
(2) Vergl.: Stadtratsgedenkbuch, folio 122




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