2. Die politische Situation des Stiftes Hersfeld bei der Einführung der Verbesserungspunkte
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Die Abtei Hersfeld war ursprünglich ein selbständiges geistliches Fürstentum mit beträchtlichem Besitz, der vornehmlich in Thüringen gelegen war. Andere Teile seines Besitzes waren bis an die Mosel, an den Rhein und nach Westfalen hinein verstreut. Auf ein em im Januer 775 in Quierzy abgehaltenen Reichstag hatte König Karl das von Lull gegründete Kloster in seinen und seiner Nachkommen Schutz genommen und ihm außergewöhnliche Vorrechte eingeräumt. Durch die Schutzverleihung, die die Abtei dem König unmittelbar unterstellte, wurde sie zur Reichsabtei erhoben und damit die spätere Stellung des Abtes als Reichsfürst mit Sitz und Stimme im Reichstag angebahnt. Die anfängliche Macht und das Ansehen der Abtei schwanden jedoch im Laufe der Jahrhunderte dahin. Die weit verstreuten Besitzteile und das Ineinandergreifen der Grenzen und Gerechtsame, die zumeistens nicht genau festgelegt waren, hatten oft zu Streitigkeiten mit den vielen Nachbarn geführt. Die Zentralgewalt des Reiches, der Kaiser und seine Gerichte, waren ohnmächtig. Das Kloster hatte nicht die Machtmittel, um seinen weitverstreuten Besitz gegen die landlüsternen und stärkeren Nachbarn behaupten zu können. Manches wurde der Abtei gewaltsam entrissen, anderes ging auf dem Umwege über die Lehensverleihung oder Verpfändung verloren. Schließlich besaß die Abtei nur noch einen einzigen größeren Ort, die Stadt Hersfeld selbst, und einige größere Ämter. Aber die Stadt stand dem Stift eher feindlich gegenüber und neigte beträchtlich den Landgrafen von Hessen zu , denen ihrerseits auch nichts an der Erhaltung der Abtei gelegen sein konnte, bot doch ihre Einverleibung eine günstige Arrondierung des eigenen Gebietes.
Dem wachsenden Einflußder Landgrafschaft Hessen auf die Abtei im 14. Jahrhundert konnte sich diese auch dadurch nicht entziehen, daß sie in den dieses Jahrhundert erfüllenden Kämpfen zwischen der Landgrafschaft Hessen und dem Erzbistum Mainz unter Abt Berthold von Völkershausen (1376 - 1388) eindeutig auf die mainzische Seite trat. Als der Abt in Verfolgung dieser gegen Hessen gerichteten Politik 1373 sogar Mitglied des Sternerbundes wurde, ging die mit ihm verfeindete Stadt Hersfeld zu den Landgrafen von Hessen und Thüringen über und schloß mit ihnen 1373 ein Bündnis. Seitdem trennten sich Stadt und Stift, nachdem sie sich in jahrelangen schweren Auseinandersetzungen gegenseitig stark zugesetzt hatten (Vitalisnacht 1378). Infolgedessen nahm das Stift 1379 un d 1381 die Vermittlung des Landgrafen von Hessen in diesem Streit an und schloß 1383 sogar ein dreijähriges Schutzbündnis mit ihm. Doch führten die Übergriffe hessischer Ritter 1384 zu einer gegen diese gerichteten Verbindung der Stifter Fulda und Hersfeld , so daß es nunmehr Erzbischof Adolf von Mainz 1385 (wie schon 1383 in Fulda) glückte, von der Abtei Hersfeld zum Schirmherrn und Verweser auf Lebenszeit eingesetzt zu werden. Wenn nach dem Tode Erzbischof Adolfs der mainzische Einfluß auch zurückging, so wurde er doch durch den unter Erzbischof Konrad von Mainz und der Landgrafschaft Hessen wieder aufflammenden Streit wiederbelebt. Konrad nahm das Stift 1420 in seinen Schutz und beanspruchte zwei Jahre später die Rolle eines ständigen Schiedsrichters zwischen Hersfeld und Hessen. Bei dieser Lage entschied der endgültige Sieg Hessens über das Erzbistum Mainz 1427 auch über die politische Zukunft Hersfelds. 1430 schloß die Stadt ein Bündnis mit dem Landgrafen zur gegenseitigen Hilfe. Ähnliche Verträge waren schon 1414, 1421 und 1423 abgeschlossen worden. Im Jahre 1432 ernannte Abt Albrecht von Buchenau, des ewigen Haderns müde, Landgraf Ludwig den Friedfertigen zum erblichen Schirmherrn des Stiftes. In den Jahren 1458 und 1490 wurde dieser Erbschutzvertrag erneuert. Im Jahre 1517 schloß Abt Crato in Gemeinschaft mit Dechant und Konvent mit der Regierung des Landgrafen Philipp einen Vertrag ab, in dem der Erbschutz erneuert wurde. Es wurde auch festgesetzt, daß das Stift niemals mehr einem anderen Stifte, sei es ein großes oder ein kleines incorporiert werden dürfe; ein Abt dürfe nur auf dem Wege der „Elektion" oder der „Postulation" zur Administration des Stiftes kommen und dem Hause Hessen nicht zuwider sein.(1) Das bezieht sich darauf, daß Abt Volpert Riedesel von Bellersheim 1513 zugunsten des Fuldaer Abtes Hartmann von Kirchberg resignierte. Volpert hatte, gedrückt von der Schuldenlast, in welche ihn besonders der beim Reichskammergericht verlorene Prozess gegen die Stadt gestürzt hatte, den verzweifelten Entschluß gefaßt, die Abtswürde gegen die fuldische Probstei Andreasberg einzutauschen. Der fuldische Kanzler Philipp von Schweinsberg hatte die Huldigung des Hersfelder Kapitels eingenommen, der sich nur einer der Kapitularen, Kraft Myle, der nachherige Abt Crato, widersetzt hatte. Auch die Stadt Hersfeld selbst, durch Erbschutzverträge an Hessen gebunden, hatte den Gehorsam verweigert. Wegen der daraus entstehenden Verwirrung und Unordnung hatte dann Hartmann schließlich auf die Abtei Hersfeld verzichten müssen . (2) Im Januar 1525 nahm sich Landgraf Philipp Hersfeld, Landeck, Berka und noch verschiedene andere Besitzteile der Abtei, um sich für die dem Abte im Bauernkrieg geleistete Hilfe zu entschädigen. Er wollte sie so lange behalten, bis die Kriegskosten gedeckt wären. Durch die Verträge von 1550 mit Abt Crato und 1558 mit Abt Michael sicherte sich Landgraf Philipp das Recht auf weitere teilweise Inbesitznahme des Gebietes der Abtei, u.a. den Besitz der einen Hälfte der Stadt Hersfeld auf weitere zwanzig Jahre. In dem letztgenannten Vertrag werden die schon bestehenden Schutzbriefe erneuert und bestätigt „unnd gnediger Herr Landgraue Philips unnd seiner Lt. unnd furstlichenn gnaden Manliche Leibs Erben, die Stadt Hersfeldt mit aller Obrigkeit, Herlicheit Gerechtigkeit , Nutzungen und gefellen wie die Namenn haben mögen nhun Hinfurt von Dato bis vertrags an Zurechnenn Zwantzig Jahr Lang Zu seinen Helfftenn theill, mit und benebenn uns (3) unnd unsernn Nachkommen Zu unsernn Helfftentheil, regieren, Inhaben, nutzen, und gebrauchen soll." (4) Die religiösen und politischen Verhältnisse waren zur Regierungszeit dieses Abtes von einer solchen Art, daß man in Deutschland zu dieser sonderbaren Gestaltung eines geistlichen Stiftes kaum ein Gegenstück finden kann. „Ein katholischer Abt an der Spitze, der Dekan protestantisch gesinnt, das Capitel gemischt, Stadt und Gebiet ganz der evangelischen Lehre zugethan, der eifrigste Vertheidiger des Protestantismus der Schutzherr des katholischen Abtes! Und alles dieses ohne Genehmigung des Kaisers, den bestehenden Kirchengesetzen, dem Willen des Papstes geradezu entgegen." (5) So wurde es immer schwieriger, ja unmöglich, einen Abt zu finden, der in die Doppelrolle hineinpaßte, die er zu spielen hatte, nämlich dem Landgrafen und der evangelischen Sache geneigt, aber auch dem Papst und dem Kaiser genehm zu sein. Die Abtswahl aber wurde dadurch beträchtlich erschwert, weil der Abt durch das Kapitel gewählt wurde, das also mit Leuten besetzt sein mußte, die durchaus den Wünschen des Landgrafen gefügig waren. Diese Verhältnisse hatte man also in Hersfeld und zwar in einer Zeit, in der sich die Gegensätze zwischen den Konfessionen - der Dreißigjährige Krieg warf schon seine Schatten voraus - so unheilvoll verschärften. Ein Abt aber, der Hessen nicht ganz ergeben war, konnte, gestützt durch die ganze katholische Welt Deutschlands, die durch Jahrhunderte mühsam errungene Stellung Hessens in der Abtei zunichte machen. Im Einverständnis mit dem (allmählich) evangelisch gewordenen Kapitel designierte dann der letzte Abt des Stiftes Joachim Röll den zehnjährigen Sohn des Landgrafen, den Prinzen Otto, zu seinem Nachfolger. 1604 wurde Erbprinz Otto von Hessen zum Coadjutor des Stiftes gewählt. Als am 24. Februar 1606 Abt Joachim starb und die Reihe der Hersfelder Äbte schloß, deren 60 nach Lullus über Hersfeld regiert hatten, übernahm Otto, obgleich erst zwölf Jahre alt, unter dem Titel eines Administrators am 4. März die Verwaltung des Stiftes. Das war ein Titel, womit man früher provisorische Bischöfe vor erhaltener päpstlicher Admission zum bischöflichen Amt bezeichnete. „Die getheilte Herrschaft über dasselbe erreichte damit ihr Ende, und froh über die eingetretene Veränderung leistete die, Dem Hause Hessen längst ergebene Stadt die Huldigung."(6) Somit war Hersfeld aber dem Regiment des Landgrafen Moritz ganz geöffnet. Die Pfarrkirche, welche mit der Hälfte der Stadt und einigen hersfeldischen Ämtern nun schon seit Philipp dem Großmütigen unter hessischer Vorherrschaft stand, konnte Moritz jetzt mit um so größerem Erfolg seiner Reform zu unterwerfen hoffen. (1) Vergl.: Demme I, Beilage 69 (2) Vergl. dazu: Rommel, Geschichte von Hessen, Dritter Teil, Erste Abteilung, S. 235-241 (3) gemeint ist der Abt (4) abgedruckt bei Demme, Teil I, Beilage 79, S. 268, Vertrag zw. Landgraf Philipp und Abt Michael (5) Piderit, S. 165 (6) Demme I, S. 69 |
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