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zusammengestellt von Konrad Lipphardt im Jahre 2012
1. Enner, zwoon, dräi, Bruuuuder Lolls |
„Enner, zwoon, dräi, Bruuuuder Lolls!“, so erschallt es alljährlich in Bad Hersfeld allenthalben, nachdem der Bürgermeister um 12.00 Uhr am Montag der „Lollswoche“ das „Fierche“ entzündet hat. Wenn man dann nach dem Läuten der Lullusglocke im Katharinenturm der Stiftsruine, übrigens der ältesten Glocke Deutschlands, einen Bekannten oder eine Bekannte trifft, so begrüßt man sie nicht mit „Guten Tag“, sondern schlicht mit einem fröhlichen „Bruder Lolls“. Dadurch unterscheiden sich die Einheimischen und Heimatverbundenen von den „Hergeloffenen“, wobei letzteres durchaus nicht abfällig gemeint ist. „Hergeloffene“ sind eben Menschen von auswärts, welche die heimischen Bräuche nicht kennen.
Die "Lullusglocke", im Katharinenturm, die älteste Glocke Deutschlands. Sie wird nur einmal im Jahr, zum Lullusfest, geläutet.
2. Lullus
Nun, den „Bruder Lolls“ kennen wir schon. Er ist kein Geringerer als Lullus, der dem Bonifatius nach dessen Tode auf dem Mainzer Bischofsstuhl nachgefolgt war und der das Kloster Hersfeld gegründet hatte.
Erzbischof Lullus
(Lullus aus dem Calendarium Annale Benedictinum von P. Aegidio Ranbeck, 1677.)
Dorthin, nach „Herolfesfeld“ nämlich, wie der Ort damals hieß, war schon vorher der Bayer Sturm, latinisiert „Sturmius“, gekommen, hatte einige „Zellen“ (1) angelegt und war dann nach Fritzlar zurückgekehrt, um seinem Lehrer Bonifatius Bericht zu erstatten. Dies war im Jahre 736 geschehen: "Inicium (initium) Herveldensis monasterii" (Anfang oder Gründung des Klosters Hersfeld).(2) Auf Geheiß des Bonifatius war Sturm dann aber tiefer in die Buchonia gezogen und hatte das Kloster Fulda gegründet. Wegen der Gefährdung durch die damals noch heidnischen Sachsen wäre die Gründung eines Klosters im nördlicher gelegenen Herolfesfeld noch ungünstig gewesen. Dennoch dürfte die von Sturm angelegte mönchische Siedlung nie ganz aufgegeben worden sein. Nach den erfolgreichen Kriegen Pippins, des Vaters Karls d. Gr., gegen die Sachsen hatte sich jedoch die Lage geändert und ein Missionskloster in der nördlichen Buchonia erschien wünschenswert. Piderit schreibt in seinen „Denkwürdigkeiten von Hersfeld“: „Es ist nun nicht unwahrscheinlich, daß der Stiftung der Abtei, d. h. der Erwerbung der Güter, welche dazu gehörten, eine kleine, klösterliche Anstalt in Herolfesfeld vorausging, und daß diese um das Jahr 758 von Lullus gestiftet ist, während die auf Vergabung und Erwerbung des Güterbezirks sich gründende Abtei erst seit 769 ihren Ursprung gehabt haben kann.“ (3) Im Schutze des Klosters hat sich aus einer zunächst kleinen Ansiedlung von dem Kloster hörigen Bauern und Handwerkern eine Stadt entwickelt, die dann im 11. und 12. Jahrhundert als "civitas", also als eine ummauerte Stadt bezeichnet wird.
Lullusdenkmal auf dem Rathauskumpf: LULLUS HERSFELDIAE CONDITOR, Lullus, Hersfelds Gründer.
Grabinschrift
Das Grab von Lullus hat sich über die Jahrhunderte nicht erhalten. In einem Fritzlarer Kopialbuch aus dem 15. Jahrhundert befindet sich eine überlieferte Grabinschrift (Epithaphium sanctissimi Lulli patroni nostri), die zeitgenössisch sein und vielleicht sogar von Lullus selbst stammen könnte (Die Ich-Form ist dafür jedoch kein Argument!).
Die Verse umfassen vier Distichen:
Lateinischer Text
Lul michi nomen erat, famosa Britannia mater,
Quae me Romanos misit adire patres.
Post sibi me iunxit doctor Bonifacius almus,
Imposuitque humeris infula sacra meis.
Et dum martirio caelestes scandit ad arces,
Manensi ecclesiae me iubet esse patrem.
Hic mihi sit requies, donec vox alma reclamet:
»Pulvis, qui dormis, surge iubente deo«.
Übersetzung
Lul war mein Name, in England, dem ruhmreichen, bin ich geboren,
Welches als Pilger nach Rom mich zu den Vätern gesandt.
Danach nahm Bonifaz, der heilige Lehrer, mich zu sich,
Und das Bischofsgewand legt' auf die Schultern er mir.
Als durch den Martyrertod er des Himmels Festung erstiegen,
Ward ich, wie er es gewünscht, Lenker der Kirche in Mainz.
Hier sei mir Ruhe vergönnt, bis ertönt die erhabene Stimme:
»Staub, der du schläfst, steh auf, denn es ist Gott, der dich ruft!«.(4)
3. Die Einsetzung des Lullusfestes
Aber wie entstand nun das Lullusfest? Lassen wir auch dazu wieder die Chronisten und die Chroniken zu Wort kommen. „Es hat sich eine Nachricht erhalten,“ so schreibt Piderit weiter, „deren Gewißheit ich jedoch nicht verbürgen will, daß flüchtige Christenhaufen, um der Wut der sie verfolgenden Sachsen zu entgehen, auf ihrer Wanderung von der Werra nach dem sicheren Rheine, durch Lullus wohltätige Veranstaltung in der Buchonischen Wüste Unterhalt und sicheres Geleit gefunden hätten. Ist dieses wirklich der Fall gewesen, so kann es erst 758 geschehen seyn, in welchem Jahre Pipin seinen letzten Krieg gegen die Sachsen führte, mehrere ihrer Burgen brach, aber auch die Wut dieses Volkes reizte, das den Abfall von der väterlichen Religion als Verrat an der Sache des Vaterlandes anzusehen gewohnt war.“(5) Und weiter schreibt Piderit in seinem Buch 1829: „Mit dieser Sage, welche nicht einmal historisch begründet ist, hat man das bekannte Lullusfest in Verbindung gebracht und will in der elenden Bude, die man auf dem Markte errichtet, in dem Auswerfen der Nüsse, in dem angezündeten Feuer eine Andeutung auf die von Lullus ausgeübte Wohltätigkeit gegen die Flüchtlinge finden. Darüber kann ein Geschichtskundiger nur lächeln. Das Lullusfest ist angeordnet im J. 852, und war nichts anders als ein kirchliches Fest, so wie es in der katholischen Welt jedem Heiligen gefeiert wird, welchen die Stadt oder der Ort als besonderen Wohltäter und Schutzherren betrachtet, z. B. in Fulda dem Bonifatius. Solche Feste dauerten oft 8 Tage, daher man die ganze Woche nach demselben benannte, und waren stets auf den Todestag, als den eigentlichen Geburtstag des Heiligen verlegt. Zahlreiche Prozessionen der Landleute wallten in den festlich geschmückten Dom, wo sich die ganze Pracht des katholischen Ritus entfaltete. Die herzuströmende Menge zog Kaufleute und Krämer herbei, daher das Lullusmarkt. Man überließ sich der Freude, daher diese Feste die Stelle der Kirchenmessen vertraten.“ (6) Wenn Piderit davon spricht, dass das Lullusfest „angeordnet“ worden sei, so bezieht er sich auf die Annalen des Lampert von Hersfeld, bei dem es heißt, dass Lull am Gründonnerstag des Jahres 852 überführt worden sei: „DCCCLII. Translatio sancti Lulli in cena Domini.“(7)
Am 28. Oktober 850 war jedoch schon die neue, dem Gedächtnis des Heiligen Wigbert gewidmete karolingische Säulenbasilika des Klosters Hersfeld vom Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus geweiht worden. Der Bau der neuen Stiftskirche war unter Abt Bun (820-840) im Jahre 831 begonnen und von Abt Brunwart II (840-875) im Jahre 850 vollendet worden. Jedenfalls kam es am Todestag des Lullus in Hersfeld zu einem jährlich wiederkehrenden Kirchenfest, zu dem viele Pilger zum Grab des Lullus und zu den Gräbern der anderen Heiligen (Wigbert und Witta) pilgerten. Aus diesem (Kirchen-)Fest entwickelte sich das wohl älteste Volksfest Deutschlands, das Lullusfest, das noch heute gefeiert wird.
Die „Vita Lulli“, geschrieben von Lampert von Hersfeld (vermutlich zwischen 1063 und 1073 geschrieben) führte dazu, dass Lullus als Heiliger verehrt und neben Wigbert zum Hauptpatron der Abtei wurde. ............. Eine förmliche Kanonisation (Heiligsprechung) von Lullus fand jedoch nie statt. Die Umbettung (translatio) wird verschiedentlich falsch als Heiligsprechung interpretiert. (vergl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Lullus_(Lul) ) Der Todestag von Lullus war der 16. Oktober 786. Deshalb liegt das Lullusfest immer in der Woche, in die der 16. Oktober fällt.
Ebenfalls auf den 16. Oktober fällt der Namenstag des Hlg. Gallus. An diesem Tag wurde auch der Gallusmarkt gehalten. "Eine besondere Rolle spielte der Jahrmarkt zu Galli, der am Todestag des hl. Gallus, dem 16. Oktober, stattfand. Der Heilige gab über Jahrhunderte lang dem Herbstmarkt in Hersfeld seinen Namen. Der Gallimarkt dauerte drei Tage (die anderen Märkte wurden zwei Tage lang abgehalten) und wurde von der Stiftsglocke montags mittags um 12.00 Uhr eine Stunde lang eingeläutet. Hiernach durfte jeder Einwohner Wein und fremdes Bier unter freiem Himmel ausschenken und verkaufen. ...." (8) Im Laufe der Zeit wuchsen Kirchenfest und Markt allmählich zusammen und das hat sich wohl über lange Zeit hingezogen. Der Übergang vom traditionellen Gallusmarkt zum Lullusfest ist also fließend.(9) Ja, aus den beiden Begriffen "Lullusfest" und "Gallusmarkt" entstand durch sprachliche Verschmelzung sogar der neue Begriff "Lullusmarkt". Beide Begriffe, "Lullusfest" und "Lullusmarkt", werden heute gleichwertig nebeneinander verwendet, wobei letzterer Begriff nach meiner Wahrnehmung mehr dem umgangssprachlichen Gebrauch (Wir gehen auf den "Lollsmar(k)t") zuzuordnen ist, während der Begriff "Lullusfest" mehr dem hochsprachlichen Gebrauch entspricht.
Es ist also zwischen Volksfesten und reinen Kirchenfesten zu unterscheiden. Um es einmal ganz platt zu formulieren, ging es bei den ersteren um weltliche Vergnügungen, bei den letzteren ging es hingegen um das Seelenheil oder "pro salute anim(a)e", wie man es lateinisch ausdrückte, wenn man zu den Reliquien der Heiligen wallfahrte oder einer Kirche bzw. einem Kloster etwas zukommen ließ. Andernorts mag man zwar schon etwas früher als in Hersfeld Kirchenfeste gehabt haben, die sich dann allmählich und im Laufe der Zeiten ebenfalls zu Volksfesten wandelten, Hersfeld hatte aber seit Anfang seiner Entstehung als Stadt zusätzlich und gleichzeitig neben dem reinen Kirchenfest auch noch einen bedeutenden Jahrmarkt mit dem damit verbundenen volksfestartigen Markttreiben, nämlich den eben schon erwähnten Gallusmarkt. Daneben gab es noch zwei, später auch drei und vier weitere Jahrmärkte. Denn durch seine Lage an der wichtigen Handelsstraße "Kurze Hessen" war Hersfeld ein bedeutender Marktort. Mit der Reformation verschwand das Kirchenfest langsam, aber der Jahrmarkt blieb bestehen. Das heutige Bad Hersfeld hat somit also neben seinem eigenen hohen Alter und der ältesten Glocke mit dem Lullusfest / Lullusmarkt auch noch das wohl älteste Volksfest Deutschlands.
4. Die Lullusfreiheit
Piderit schreibt weiter: „Etwa im 13ten Jahrhundert fand man es vorteilhaft, allen Bürgern die Erlaubnis zu erteilen, Bier und Wein ohne Umgeld, (eine Art städtischer Accise) jedoch unter freiem Himmel zu verschenken (auszuschenken, Anm. d. Verf.). Die ist die einzige Lullusfreiheit, welche sich historisch nachweisen läßt. Etwa im 14ten oder im15ten Jahrhundert benutzte auch der Magistrat diese Freiheit zum Verkauf der städtischen Weine. Zu dem Ende wurde die bretterne Bude erbaut, auf welche man in unseren Zeiten ein so großes Gewicht zu legen scheint, und der Bürgermeister nebst dem Stadtkämmerer begaben sich dahin, - nicht um das Andenken des Lullus zu feiern, sondern um Wein zu schenken, wenigstens die Aufsicht darüber zu führen. Damals war es Sitte, zum Weine Nüsse zu essen und diese als Zugabe den Weintrinkern vorzusetzen. Daher der bekannte, nun abgestellte Gebrauch. Da man endlich die Gelage in die späte Nacht fortsetzte, so war ein wärmendes Feuer sehr nothwendig. - Dieses ist der Ursprung des Lullusfestes, …. .“(10)
Auch der Stadtsekretär Louis Demme schreibt 1891 in seinen „Nachrichten und Urkunden zur Chronik von Hersfeld“: „Die Stadt war Mittelpunkt des Handels für die ganze Gegend. Es bestanden fünf Jahrmärkte mit bedeutendem Verkehr. Unter diesen war der Lullusmarkt, in der Galluswoche, für jeden Bürger mit der Berechtigung verbunden, Wein und Bier unter freiem Himmel zu verzapfen und zu verschenken (auszuschenken, Anm. d. Verf.), ohne davon die städtische Abgabe (das Ungeld) bezahlen zu müssen. Das ist die s. g. „Lullusfreiheit“, die noch heute mit der Stiftsglocke (gemeint ist die schon erwähnte Lullusglocke, Anm. d. Verf.) eingeläutet wird, sobald am Montage in der Lulluswoche die Uhr auf dem Turme der Stadtkirche die Mittagstunde verkündet hat. Auch ließ der Rat selbst Wein für städtische Rechnung in einer auf dem Marktplatze errichteten Holzbude verschenken (ausschenken).“ In einer Anmerkung dazu schreibt Demme an gleicher Stelle: „In einem städtischen Gedenkbuche (Demme schreibt nicht in welchem Buch. Anm. d. Verf.) findet sich über die Lullusfeier und die Lullusfreiheit folgende Eintragung: ´.….. ist dem Abt zu Ehren das Lullusfest um den 20. Oktober gehalten worden, welches jedes Jahr den Montag nach dem großen Bettag seinen Anfang nahm, und den Montag Morgen eine große Hütte von Brettern erbaut wurde und dabei ein Loch in die Erde gegraben wurde, worin man precis Mittag mit dem Schlage 12 Uhr das Feuer angesteckt. Zugleicherzeit mußte der Stiftskirchner Um 12 Uhr auf dem Stifts Turm von 12 bis 1 Uhr mit einer Glocke eine Stunde läuten: hierdurch wurde die freyheit angezeigt, und ein jedes konnte Handeln und Wandell ohne Accis und Abgabe zu ertheilen. Nach 12 Uhr kam vom Rathaus die Burgemeister der Burggraf die Polizei und zwei Rathsdiener mit zwey Sack welsche Nüße (Walnüsse, Anm. d. Verf.), diese wurde unter das Arme Volck und Jugend zum Krapfen aus der Hütte geworffen und die Herren Verzehrten in dieser Hütte ein Frühstük Von Kuchen, Wein und Nüße. Die Hütte und das Brennende Feuer bliebe stehen und wurde unterhalten von Montag Mittags 12 Uhr bis Donnerstag Nacht um 12 Uhr.`“ (11)
Bild 1: Lullusfest, ein historisches Gemälde
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5. Das Lullusfest im Dreißigjährigen Krieg
Die Hersfelder verharrten über die Jahrhunderte treu bei Ihrem Brauch, das Lullusfest zu feiern. Selbst im Dreißigjährigen Krieg scheint der Lullusmarkt samt Lullusfreiheit trotz aller Truppendurchzüge, Einquartierungen, Kontributionen, Plünderungen und anderer Drangsale weiter bestanden zu haben, wenn auch sicher in sehr bescheidenem Umfange. Von einem Ausfall des Festes wird jedoch nichts in den städtischen Akten berichtet. Allerdings hatten damals die Bürger die Lullusfreiheit missbräuchlich ausgeübt und Wein und Bier nicht auf der „offenen Gasse", sondern auch in den Häusern verzapft. Dies stellte der Rat nun unter Strafe und ordnete an, nach beendeter Freiheit die Fässer sofort zuzuschlagen. Solches wird aus dem Jahre 1628, also mitten im Kriege, berichtet. (12) Am Ende des Krieges war die Stadt jedoch verarmt, mehr als die Hälfte der Bevölkerung durch Krieg und Pest dahingerafft und weit über die Hälfte der Häuser waren verbrannt oder zerstört, schreibt Louis Demme. Bei alledem sei Hersfeld aber noch besser daran gewesen als seine Nachbarstädte, da man die Stadt als ein dem Erzherzog Leopold Wilhelm gehörendes Stift angesehen und sie deshalb von katholischer Seite niemals niedergebrannt habe. Auch aus dem Jahr 1655 wird berichtet, dass am Sonnabend vor dem Gallustage die Hütte auf dem Marktplatz aufgebaut und „des Abends `der Wein aufs Markt geführt´, dann am Sonntag, nach gehaltener Stiftspredigt, die Freiheit eingeläutet worden" sei.(13) Aus dem Jahre 1719 wird erneut von der Lullushütte auf dem Marktplatz berichtet, in der Wein ausgeschenkt werde.(14)
6. Das Lullusfest im Siebenjährigen Krieg
Nur in äußersten Kriegszeiten konnte es geschehen, dass das Lullusfest ausfiel. Am 16. Oktober 1758, also im Siebenjährigen Krieg, rückten französische Truppen in die Stadt ein und der sonst an diesem Tage und während der dreitägigen Lullusfreiheit stattfindende freie Weinausschank vor den Häusern fand nicht statt. Auch das Lullusfest des Jahres 1761 fiel wegen der Einquartierungen der Franzosen aus. Der französische Befehlshaber, Mareschal Herzog von Broglie, fürchtete wohl die „auf den Strassen durch zusammengerottete Leute verübet werdende Räubereien ….“, wie es in seinem Befehl heißt.(15)
7. Das Lullusfest soll abgeschafft werden
Es kam aber beinahe noch schlimmer, denn beinahe wäre das Lullusfest ganz verboten worden. So glaubte die Regierung in Kassel wohl, das Fest sei überflüssig und verführe nur zum Müßiggang. In einem Bericht des Oberschultheißen Grusemann vom 21. Februar 1785 lesen wir, dass er den Magistrat zusammengerufen habe und dieser zu Protokoll vernommen worden sei. Der Magistrat habe erklärt, dass das Lullusfest beinahe tausend Jahre bestehe und die Stiftsbeamten, also die staatlichen Beamten, gedroht hätten, die Lullushütte im Stift aufzuschlagen und das Lullusfeuer ebendort anzuzünden, solle dies nicht mehr auf dem Markt geschehen. Ferner hätten die Bürger neben anderen Privilegien auch die Freiheit, ein halbes Ohm Bier zu brauen und ohne Abgaben zu verkaufen. (1 Ohm sind je nach Land zwischen 134 und 174,75 Liter) Mit dem Fortfall des Festes würden ihnen diese Freiheiten verlorengehen. Mit einer Antwort der Regierung vom 12. Mai 1785 wurde ein Weiterbestehen des Festes gestattet. In einem zweiten Brief vom 27. Februar 1790 schreibt Grusemann, dass „Unsers Gnädigsten Landes Fürsten und Herrn Hochfürstle. Durchlaucht bey dero letzthin gethanen Landreiße“ erfahren hatte, „ daß das bishero nachgesehene, von der Bürgerschaft allhier zu Hersfeld jährlich gehalten werdende Lullusfest zu unordnungen, und mancherley ausschweifungen anlaß gebe, …. .“ (16) Deshalb hatte nun die landgräfliche Regierung von Grusemann einen Bericht gefordert, wie denn dergleichen Unordnung und Ausschweifungen verhindert werden könnten. Grusemann antwortet, dass der Magistrat erneut erklärt habe, dass doch das Lullusfest vor nahezu tausend Jahren begründet worden, von dem Abt dieses Namens in christlicher Absicht angeordnet worden und auch nach der Säkularisierung der Abtei im Westfälischen Frieden vom Hause Hessen nicht verweigert worden sei. Gleichwohl schreibt Grusemann in seinem Bericht, dass viele Fremde zu dieser Zeit in die Stadt kämen und viel Unordnung und Mutwillen täten, was zum Ruin der Bürgerschaft gereiche. Es würden sich auch viele alte und junge Menschen versammeln, die aus vollem Halse die ganze Woche hindurch tags und nachts durch alle Straßen „Bruder Lullus“ riefen, wodurch viele Menschen in Schrecken gerieten. Wenn man aber die Aufstellung der Lullushütte verbiete und fremden Musikanten den Zutritt nach Hersfeld verwehre, dann werde das Lullusfest mit der Zeit von selbst aufhören und eingestellt werden.(17) In einer Antwort der Regierung an den Stiftsamtmann Hartert vom 24. April 1790 wird aber dann erklärt, „daß es zwar bey der jährlichen feyer dieses festes sein Verbleiben haben, von Euch aber auf Erhaltung guter Ordnung dabey ununterbrochen gesehen werden soll; …..“ (18) Mit dieser Entscheidung zeigte die Regierung politisches Geschick, indem sie es sich nicht mit den Bürgern verderben wollte. (19) Die Hersfelder mögen aufgeatmet haben.
8. Das Königreich Westfalen
Nachdem 1806 französische Truppen Kurhessen besetzt hatten und Kurfürst Wilhelm I. geflohen war, wurde im folgenden Jahr das Königreich Westfalen gegründet, dem das Kurfürstentum und mithin auch Hersfeld und das Stiftsgebiet zugeschlagen wurden. In einem Dekret der Regierung des Königreichs Westfalen vom 08. Januar 1808 heißt es: „Alle Privilegien, Exemtionen, ……. Unter welchem Titel, unter welcher Art und Benennung es seyn mag, sind vom 1ten Januar dieses Jahres an gerechnet, hiermit aufgehoben. …..“ (20) Damit verschwand im neu gegründeten Distrikt Hersfeld die Marktfreiheit für immer. Im Jahre 1809 wurden beim Anzünden des Lullusfeuers zwar noch Nüsse ausgeworfen, aber aus Angst vor Aufständen wurde das Lullusfest verboten und wurde erst wieder gefeiert, nachdem 1813 das Königreich Westfalen aufgelöst und das Kurfürstentum wieder errichtet worden war. Bei der Bitte, das Fest wieder feiern zu dürfen, beriefen die Hersfelder sich auf die Genehmigung durch die Kasseler Regierung aus dem Jahre 1790. (21)
9. Vor über hundert Jahren
Die Hersfelder Zeitung, damals noch Hersfelder Intelligenz- und Anzeigenblatt, schreibt in ihrer Ausgabe vom 17. Oktober 1878, dass der Direktor des Gymnasiums eine größere Anzahl von Gymnasiasten mit Hausarrest bestraft habe, weil sie „in das seit den ältesten Zeiten übliche `Bruder Lolls´-Rufen im Chore, welches ihnen verboten war, mit einstimmten“. Die Klassenlehrer mussten dann nachsehen, ob sich die Bestraften wirklich in ihren Wohnungen aufhielten.(22) In ihrer Ausgabe vom 14. Oktober 1896 schreibt die HZ, dass sich der Lullusmarkt seitens der Händler wie auch seitens der Landbevölkerung eines recht zahlreichen Besuches erfreuen konnte. „Auch „Caroussel, Schießbude, Schiffsschaukel und sonstige Schaustellungen“ hätten eine Anziehungskraft ausgeübt, dass jeder Marktbesucher auf seine Rechnung kommen konnte. (23)
10. Das Lullusfest heute
Wie man im Vergleich zu den heutigen Gebräuchen und Vorkommnissen unschwer erkennen kann, hat sich seither nicht allzu viel verändert, abgesehen einmal von den heutigen modernen Fahrgeschäften. Der Charakter des alten Volksfestes jedenfalls hat sich über die Jahrhunderte erhalten. Durch Wilhelm Neuhaus, den Lokalhistoriker und Ehrenbürger der Stadt Bad Hersfeld, wurde das Lullusfest neu belebt. Im Jahre 1926 bereicherte er das Fest mit dem Feuermeister, der Rede des Bürgermeisters vor dem Entzünden des Lullusfeuers und der Rede des Feuermeisters vor dem Löschen des Feuers. Und so lieben wir Hersfelder unser Lullusfest bis heute. Wir stehen mit Kindern, Freunden und Bekannten am Lullusfeuer, werfen Kastanien hinein und rufen unseren althergebrachten Schlachtruf: „Enner, zwoon, dräi, Bruuuuder Lolls!“
Bild 2: Eingang zum Lullusmarkt vom Linggplatz her
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Bild 3: Entzünden des Lullusfeuers: Rede des Bürgermeisters
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Bild 4: Entzünden des Lullusfeuers: Das "Fierchen" brennt
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Bild 5: Kastanien werden ins Lullusfeuer geworfen
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Bild 6: Ein Fest für alle
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Bild 7: Das Riesenrad
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Bild 8: Am Abend ist es besonders schön
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11. Quellen
· Bad Hersfelder Jahreshefte, Ott-Verlag GmbH, Bad Hersfeld
· Beate Elisabeth Schwarz: Bruder Lolls! Geschichte und Geschichten von einem alten Volksfest, Hersfelder Geschichtsblätter, Band5/2011, Hersfelder Geschichtsverein e. V. im Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e. V., Hoehl-Druck Bad Hersfeld 2011
· Franz Carl Theodor Piderit, Denkwürdigkeiten von Hersfeld, Hersfeld 1829, Im Industrie=Comptoir
· Kurt Braun, Entwicklung und historische Schichtung einzelner Elemente innerhalb eines Brauchkomplexes am Beispiel des „Lullusfestes“ zu Bad Hersfeld, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des Fachbereichs für Gesellschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg/Lahn, Marburg 1975
· Lampert von Hersfeld, Annalen, Neu übersetzt von Adolf Schmidt, Erläutert von Wolfgang Dietrich Fritz, 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt, 4. Auflage
· Lampert von Hersfeld, Das Leben des heiligen Lullus, Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Michael Fleck, Ott Verlag GmbH, Bad Hersfeld, Gesamtherstellung Hoehl-Druck Bad Hersfeld 1986
· Louis Demme, Stadtsekretar zu Hersfeld, Nachrichten und Urkunden zur Chronik von Hersfeld Bd. 1 bis 2, Hersfeld 1891 und 1893,Verlag von Hans Schmidt und Bd. 3, Hersfeld 1900, Verlag A. Webert
· Wilhem Neuhaus, Geschichten von Hersfeld, Gesammelte Aufsätze aus „Mein Heimatland“, Hersfelder Geschichtsblätter, Band3/2007, Ausgewählt, bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Michael Fleck, Hersfelder Geschichtsverein e. V. im Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e. V., Hoehl-Druck Bad Hersfeld 207
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